Ein Erlebnisbericht

Ankunft im Forsthaus, der Plan: innere Grundreinigung

Die Fahrt zum Hotel Forsthaus scheint fast gruselig. Es ist November. Auf jeden Fall ist es dunkel und manchmal hat man das Gefühl, auf dieser Straße kann nichts mehr kommen. Sie wirkt einsam und verlassen. Linkerhand plätschert die Kirnitzsch neben den Gleisen der gleichnamigen Kleinbahn ebenso dunkel dahin. Aber dann Licht! Das Forsthaus hat gottseidank viele Laternen und das warme Licht aus den Fenstern der unteren Räume wirkt einladend. Am Empfangstresen überreicht mir ein freundlicher Mitarbeiter den Schlüssel zur 107, gibt mir ein paar Informationen und wünscht mir viel Freude beim Aufenthalt. ‘Was für Freude?’, denke ich. Ein Tag mit stark reduziertem Speiseplan, fünf Tage nichts essen und dann am siebten Tag einen Apfel? Für einen Feinschmecker wie mich hat das mit Freude nichts zu tun! Zumindest das Essen nicht, aber ich bin ja auch zum Fasten hier, nicht zum Essen. Und ich hab’s ja so gewollt! Ich muss mir das oft wiederholen, damit meine gute Laune Oberwasser behält. Denn es hat ja einen Grund hier zu sein. Ich nenne es innere Grundreinigung des Körpers. Einmal im Jahr lasse ich mich darauf ein oder positiv betrachtet: ich gönne es mir! Schließlich liegt eine Woche mit Wanderungen durch diese atemberaubend schöne Gegend der Sächsischen Schweiz vor mir. Und neben Massagen, Saunabesuchen und ausgiebiger Schönheitspflege auch endlich mal die Zeit für einen täglichen Mittagsschlaf, ein gutes Buch und die Möglichkeit einer ungestört eingehenden Betrachtung des Stückchen Himmels, welches das enge Tal freigibt.

Eine Woche ohne Pflichten: ganz für mich allein!

Außerdem eine Woche ohne Haushaltsorganisation, ohne Job-Projekte, ohne Termine, ohne Kindererziehung und Partnerschaftspflege  – eine wunderbare Distanz zu meinem Alltag in Dresden. Im Küchenkalender sieht diese Woche so wunderbar leer in meiner Spalte aus. Ich mag diesen Leerraum und mit diesem Bild vor Augen freue ich mich nun tatsächlich. Was macht da schon das fehlende Essen?! Und selbst hierzu findet sich schnell der Sinn in mein Gehirn zurück. Gut für Körper. Gut für Seele. Woher ich das weiß, ich war schon letztes Jahr hier. Ich kenne also die Prozedur des Fastens bei Andrea im Forsthaus. Ich weiß, auf was ich mich einlasse und auch warum ich es tue. Ich weiß, es ist mental nicht immer einfach, aber es lohnt sich und sei es nur der verlorenen Kilo wegen, die mehr Platz für Weihnachtsplätzchen schaffen. Aber das ist nicht mein Ansporn, ich bin zufrieden mit meinem Gewicht; deswegen faste ich nicht. Ich faste tatsächlich aus wissenschaftlicher Überzeugung und basierend auf den Ergebnissen meiner ersten Fastenerfahrung. Ja, der tägliche Einlauf ruft bei mir kein Freudengeschrei hervor, doch mit der richtigen Technik ist es mittlerweile kein großer Akt mehr für mich. Ich erledige das gleich nach dem kleinen Morgensport an der frischen Luft.  Schließlich habe ich hier jeden Tag eine Stunde nur zur Morgenpflege für mich ganz allein. Dieser Luxus kommt zu Hause vielleicht aller zwei Monate vor. Ein Grund mehr in dieser Woche ganz bewusst meine persönlichen Rituale zu kultivieren, darauf zu horchen, was mir ganz allein gut tut.

Schroffe Felsen, Bunte Blätter und grünes Moos: die Traumlandschaft Sächsische Schweiz

Nach dem Frühstückstee geht es auf in die Sächsische Schweiz. Man läuft schweigend durch die schöne Natur. Der Wald duftet nach Herbst, das Wetter spielt mit. Obwohl Anfang November zeigt sich die Sonne fast jeden Tag. Es regnet nicht und jeder Schritt wirkt befreiend. Meine Augen konzentrieren sich auf die Details: einzelne bunte Blätter, die gerade ihren letzten Flug begehen, grünes Moos, welches wie Samt die Stämme der Bäume bedeckt, unzählige Bucheckermützchen, die auf dem Boden verstreut sind, Wurzeln die wie starke Arme der Weisheit über den Waldboden ihre Kraft zur Schau stellen, Sandsteinfelsen, die senkrecht empor ragen wie die Säulen eines Naturdomes. Schritt für Schritt. Ich und der Wald. Ich trotte den Weg entlang, dankbar mich nicht um die Orientierung kümmern zu müssen, der Gruppe hinterher, manchmal vorne weg, weil es nur einen Weg gibt. Regelmäßige Trinkpausen erinnern mich daran, nicht allein zu sein, ein kurzer Plausch, wenn man Lust hat. Gegen eins ist man zurück im Forsthaus.

Gemüsebrühe, Faulenzen und Mittagsschlaf: der Weg zum inneren Frieden

Die Gemüsebrühe wartet und obwohl ich keinen Hunger habe, freue ich mich den Hauch von etwas Herzhaftem zu mir nehmen zu können. Die Wärmflaschen für den Leberwickel und den Mittagsschlaf sind bereits vorbereitet. MITTAGSSCHLAF. Schon wieder ein Luxus, den mir diese Woche beschert. Was gibt es schöneres als vollkommen frei von schlechtem Gewissen, der Seele und dem Körper mitten am Tag eine Pause zu gönnen? Bis 18 Uhr ist Freizeit. Ich fülle sie mit Faulheit, Lesen, Sauna oder Massagen bei Andrea. Ich fühle mich wohl, schlafe fast jedes Mal dabei ein. Der Abendsaft ist mein persönliches Highlight. Genießerisch löffle ich das Glas leer. Geschmack im Mund zu haben, ist einfach etwas Schönes. Ohne Sehnsucht  denke ich an die Gaumenfreuden, die ich mir bald wieder leisten kann. Der Verzicht bewirkt Vorfreude, keine Misslaunigkeit bei mir. Der Austausch mit den anderen ist entspannt, dreht sich um Gott und die Welt, um Ansichten, Lebensläufe, um Motivationen, um Ideen, kaum ums Essen.

Bevor jeder Tag zu Ende geht, gibt es eine kleine freiwillige Gesprächsrunde mit Andrea. Mit Leidenschaft, aber ohne dogmatische Einflussnahme lehrt sie uns Wirkmechanismen des Fastens und Ernährungsphilosophien, nimmt Unsicherheiten und bietet Hilfestellung.

Gegen 20 Uhr bin ich bereits auf meinem Zimmer zurück. Mechanisch mache ich mich bettfertig, rücke mir die Kissen zurecht und nehme mein Buch zur Hand. Bevor ich in die Welt des Buches eintauche, bleibt mein Blick kurz im Nichts vor den Zeilen stehen. Ich fühle für diesen Moment ganz bewusst, den inneren Frieden, den so viele suchen…und bin dankbar.